Assoziative Wirtschaft SEKEM

Assoziative Wirtschaft gestalten: Entstehung einer Charta für den Biohandel

Ende November nahm SEKEM Geschäftsführer Helmy Abouleish an einer Konferenz zum Thema assoziatives Wirtschaften teil. Er stellte SEKEMs Engagement für eine solidarische Wirtschaft vor und beteiligte sich an der Ausarbeitung einer Charta für den Biohandel. Der folgende Bericht gibt Einblicke in die Inhalte, die erarbeitet wurden und erklärt was assoziative Wirtschaft überhaupt bedeutet.

In der heutigen Zeit, in der die Wirtschaft mehr denn je auf Konkurrenz und individuellen Profit ausgerichtet ist, ist das Modell einer assoziativen Wirtschaft besonders aktuell und zukunftsträchtig. Um eine wirtschaftlich-soziale Gesellschaft zu fördern, muss eine transparente, verantwortungsvolle, mündige und zielgerichtete Zusammenarbeit aller Wirtschaftsglieder entwickelt werden. Dies ist ein großes Anliegen des Wirtschaftskreises der Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum in Dornach. Der Demeter-Verband setzt dies zum Beispiel in Zusammenschlüssen aus Landwirten, Verarbeitern, Händlern und Verbrauchern um. Durch die aktuelle Marktentwicklung, die es ermöglicht Demeter-Produkte in großen Supermarktketten und über Online-Plattformen zu erhalten, zeigt sich allerdings eine neue Herausforderung auf dem Weg hin zu einer assoziativen Wirtschaftsweise. „Nun ist es an der Zeit, gestaltend einzugreifen und neue Formen zu etablieren“, sagte Ueli Hurter, Leiter der Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum zu Beginn der Konferenz „Assoziatives Wirtschaften im Biohandel“, die die Freie Hochschule für Geisteswissenschaften gemeinsam mit dem Demeter-Verband organisierte. Das Ziel der dreitägigen Veranstaltung, die sich aus dem Grundlagenforum und dem Wirtschaftskreis zusammensetzte, war es also, eine konkrete „Charta für assoziatives Wirtschaften für den Biohandel“ zu formulieren.

Was genau bedeutet eigentlich assoziatives Wirtschaften?

Assoziative Wirtschaft meint den Zusammenschluss von Konsumenten, Händlern und Produzenten mit dem Ziel, allen Beteiligten einen gerechten und angemessenen Anteil an der Wertschöpfungskette zu ermöglichen. Erste Ansätze dazu findet man beim Fairen Handel.

Assoziationen sind dezentrale Lenkungsorgane im Wirtschaftsleben eines sozialen Organismus im Sinne der Dreigliederungsidee Rudolf Steiners. Sie ermitteln die Konsumbedürfnisse und regen eine entsprechende Warenproduktion an. Aus ihren jeweiligen Zusammenhängen entsenden die Produzenten, Händler und Konsumenten Vertreter in die jeweilige Assoziation.

Quelle: Institut für soziale Dreigliederung und AnthroWiki

 

Den Blick wenden: Vom Verbraucher zum Landwirt

Rund 70 Akteure aus allen Bereichen der biologisch-dynamischen Wertschöpfungskette beschäftigten sich vom 23. bis 25. November intensiv mit der Ausarbeitung konkreter Schritte hin zu einer assoziativen Wirtschaftsbewegung. Rasch war zu erkennen, dass der umgekehrte Blick von Bedeutung ist. Anstatt vom Bauern zum Endverbraucher zu schauen, kann die Ausrichtung von der Seite des Kunden helfen, die Wertschöpfung passender und transparenter zu gestalten. Erst wenn die Bedürfnisse des Verbrauchers deutlich werden, können sich Händler, Verarbeiter und schließlich Landwirte entsprechend danach richten und ein Produkt schaffen, das faire Bedingungen für alle Beteiligten ermöglicht.

Assoziative Wirtschaft SEKEM
Demeter-Vorstandssprecher Dr. Alexander Gerber während des Grundlagenforums in der Alanus Hochschule in Alfter.

In kurzen Impulsvorträgen gaben zunächst einzelne Vertreter Einblicke in ihr alltägliches Wirken und gingen dabei auch auf die Herausforderungen und Hindernisse bei ihren Bemühungen um ein gemeinsames und verbindendes Wirtschaften ein. So fehle es an Transparenz, Flexibilität oder Austausch. „Es besteht die Gefahr, dass unsere Bewegung zu einer industriellen Landwirtschaft ohne Pestizide wird“, äußerte Boris Voelkel, verantwortlich für den Einkauf bei der Voelkel GmbH, seine Bedenken gegenüber der ungesteuerten Verbreitung von Bio-Lebensmitteln. Weitere gemeinsame Werte und Anliegen, wie etwa das solidarische Wirtschaften, könnten dabei verloren gehen. Anschließend wurden verschiedene Fragen in kleinen Arbeitsgruppen näher beleuchtet. Dabei zeigte sich die Notwendigkeit, die gemeinsamen Werte konkret zu definieren. Diese wurden später im ersten Entwurf der Charta, in der Vision, formuliert. Mit dem Ziel, die Erde als lebendigen Organismus zu erhalten und den Menschen auch in Zukunft eine ganzheitliche Entwicklung ermöglichen zu können, soll assoziatives Wirtschaften stets transparent und mit der Berücksichtigung aller Akteure der Wertschöpfungskette stattfinden. Dafür brauche es Offenheit, Vertrauen, Interesse und Wertschätzung für Kunden, Händler, Bauern und Co.. Wie aber nun ist dies in der Praxis umsetzbar? Um Bewusstsein über das große Ganze haben zu können, muss ein intensiver Austausch entstehen. So wurde in der Charta festgehalten, dass alle Beteiligten sich regelmäßig zu Treffen zusammenfinden, bei denen die Bedürfnisse der Einzelnen, aber auch konkret Produkte und Produktionsverfahren begutachtet werden.

Beziehung neu gestalten: Aufklärung anstatt Werbung

Aus der Konsumentenperspektive sprach Dr. Jasmin Peschke, Ernährungskoordinatorin am Goetheanum, über die verlorengegangene Beziehung zwischen Kunden und Händler: „Wo der Verkäufer einst im Tante-Emma-Laden den Kunden bediente und mit Beratung zur Verfügung stand, bieten heute große Supermarktketten Eigenmarken zur Selbstbedienung an.“ Um eine Beziehung wiederherzustellen, muss die Kommunikation gestärkt und überdacht werden. Anstatt dem Kunden Bedürfnisse zu suggerieren, sollte auch hier eher auf Dialog, Transparenz und gemeinschaftliches Gestalten gesetzt werden. Wahrnehmen heißt das Zauberwort. Was will und braucht der Kunde eigentlich wirklich? Und wie kann der Verbraucher eine Ahnung von der gesamten Wertschöpfungskette bekommen, die es ihm ermöglicht mündig einzukaufen?

Dass Ansätze von assoziativen Wirtschaftsformen bereits erfolgreich angewandt werden, wurde an konkreten Beispielen verdeutlicht. Nach dem Grundlagenforum, das an der Alanus Hochschule in Alfter stattfand, ging es nach Luxemburg, wo die Oikopolis-Gruppe ansässig ist, die als solidarisch zusammenarbeitende Wirtschaftsgemeinschaft eine transparente Brücke entlang der Wertschöpfungskette schlägt. Um die Biobauerngenossenschaft BIOG entstanden innerhalb der vergangenen 30 Jahre der BIOGROS-Großhandel, der NATURATA-Einzelhandel und weitere Vereine und Institutionen, die heute als Netzwerk unter der Oikopolis-Gruppe transparent die gemeinsamen Leitwerte vertreten. Hier wurde bereits das Siegel „fair & assoziative“ entwickelt, und erste Produkte damit gekennzeichnet.

Der Mensch im Mittelpunkt

Ein weiteres Beispiel für die Realisierung einer geschlossenen Wertschöpfung wurde in einem gut besuchten, öffentlichen Vortrag von SEKEM-Geschäftsführer Helmy Abouleish vorgestellt. Die SEKEM Initiative engagiert sich seit 40 Jahren für nachhaltige Entwicklung in Ägypten. Sie betreibt biologisch-dynamische Landwirtschaft, verarbeitet die Erzeugnisse in verschiedenen Firmen und vermarktet die Produkte hauptsächlich auf dem lokalen Markt. Neben diesem geschlossenen Produktionskreislauf zeichnet sich das Engagement SEKEMs durch die Förderung der Menschen aus. SEKEMs Firmen unterstützen mit ihrem Gewinn verschiedene Bildungseinrichtungen und kulturelle Aktivitäten für die Mitarbeiter. Durch den Vortrag von Helmy Abouleish wurde noch einmal deutlich, dass doch stets der Mensch im Mittelpunkt einer assoziativen Wirtschaft steht. Gleiche Möglichkeiten zur Bewusstseinsbildung und die Freiheit zur Potentialentfaltung sind das eigentliche Ziel einer brüderlichen Wirtschaft.

Mit diesem Bild im Hinterkopf wurde schließlich der erste Entwurf einer Charta erarbeitet, die in weiteren Schritten finalisiert werden soll. „Hinter all unseren Bemühungen für eine solidarische Wirtschaft, einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur und die Entwicklung der Menschen, steht stets das Bestreben eine nachhaltige Visionsgemeinschaft zu fördern, die sich aufgrund gleicher Werte verbindet“, fasste Helmy Abouleish die Aktivitäten SEKEMs zusammen. Von einer solchen Visionsgemeinschaft lässt die Entstehung der „Charta für assoziatives Wirtschaften für den Biohandel“ ahnen – wenngleich noch etliches zu Gestaltendes auf den Weg gebracht werden muss.

Christine Arlt

SEKEMs Wirtschaft der Liebe
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