Gerlinde Wendland-SEKEM-1

„Die Kunst besteht, wie das Leben selbst, aus Kontrasten und Spannungsbögen.“

Ganz SEKEM ist geprägt von bunten Gemälden. In Klassenzimmern, Büros und Wohnhäusern – dem Hotel, der Universität und in jedem Flur finden sich die unterschiedlichsten, meist abstrakten Bilder in lebendigen Farb- und Formkompositionen. Sie verschönern die Räume nicht nur, sondern schaffen auch eine ganz besondere Atmosphäre.

„Meine Kunst soll die Gedanken der Betrachter nicht begrenzen, sondern ihnen den Freiraum geben, sich in alle Richtungen zu entwickeln“, sagt Gerlinde Wendland, die Schöpferin von vielen dieser Kunstwerke. Seit rund 25 Jahren ist die Künstlerin regelmäßig in SEKEM zu Gast und schafft Kunstwerke, „die sich an der klassischen Moderne orientieren, jedoch versuchen diese weiterzuentwickeln.“ Hoch oben, im dritten Stock des SEKEM Berufsbildungszentrums liegt ihr Atelier in dem sie eindrucksvolle und gleichzeitig zarte Bilder malt, die sie anschließend der SEKEM Initiative stiftet. Großartige und bedeutende Geschenke, an denen sich viele Menschen erfreuen. Unter den ägyptischen Mitarbeitern ist Gerlinde Wendland schon als „Madam Picasso aus Deutschland“ bekannt. „Ich habe das Gefühl, dass die Menschen Vertrauen zu mir und dadurch auch zu meinen Bildern haben“, sagt sie. „Durch meine regelmäßigen SEKEM-Besuche hat sich eine gewisse Verlässlichkeit entwickelt, die die Menschen spüren. Auch wenn ich nicht direkt vor Ort bin, dann bin ich durch meine Bilder doch immer irgendwie präsent.“

Künstlerischer Einklang und große Liebe

Die SEKEM-Freundin war schon immer von Farben fasziniert, ist aber erst über einige Umwege zu ihrer Berufung gelangt. In den ersten Schulklassen durfte sie, während ihre Mitschüler rechneten, für Schulveranstaltungen malen. Als Jugendliche wollte sie dann in der Kunstakademie bei dem bekannten Professor Gerhard Wendland studieren. Der bildende Künstler, der später ihr Mann wurde, wies sie jedoch zunächst ab. Sie solle erst die Welt entdecken – erleben und lernen.

Gerlinde Wendland hörte auf den bekannten Maler, der heute zu einem wichtigen Vertreter der Abstrakten Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg zählt. Sie machte eine heilpädagogische Ausbildung und war Mitbegründerin der Kinder- und Jugendpsychiatrie im anthroposophischen Gemeinschaftskrankenhaus in Herdecke. Stets war da aber ihre Liebe zu Farben und Formen. Die Malerei ließ sie niemals los. „Kunst ist ein lebendiger Prozess. So wie das Leben. Man ringt, geht durch Engpässe, findet Lösungen. Die Kunst besteht, wie das Leben aus Kontrasten und Spannungsbögen“, sagt sie. „Ein- und Ausatmen oder Tag und Nacht sind nur zwei von unzähligen Beispielen dafür.“

Gerlinde Wendland in ihrem Atelier in SEKEM zusammen mit Yvonne Floride und SEKEM-Lehrer Tamer Badr.

Eines Tages war es dann an der Zeit. Gerlinde Wendland konnte sich voll und ganz auf die Kunst einlassen. Der verehrte Maler und Kunstdozent Gerhard Wendland brauchte Hilfe bei der Vorbereitung einer Ausstellung und Gerlinde durfte als Gegenleistung für ihre Unterstützung bei ihm lernen. „Das war der Beginn einer unglaublich reichen Zeit und einer großen Liebe“, erinnert sich die feinfühlige Malerin. Gerhard Wendland wurde für Gerlinde Wendland zu einem großen Lehrer für die Kunst und das Leben – und später zu ihrem Mann und dem Vater ihrer gemeinsamen Tochter. Über sechs Jahre lebte und arbeitete das Paar in engstem Austausch und in tiefster Verbundenheit. „Unsere Beziehung kann nicht in Worte gefasst werden. Zwischen uns war einfach eine unbeschreibliche Harmonie und Ergänzung in Bezug auf unsere Art zu denken und zu leben.“

Nicht nur die Malerei verband das Künstlerpaar – auch die Musik, die Philosophie und der enge Austausch mit der Jugend. „Wir lebten in einem offenen Haus, in dem Studenten und andere Künstler ein- und ausgingen.“

„Ein weißes Blatt Papier kann als Übungsfeld für den Lebensprozess betrachtet werden.“

Nachdem Gerhard Wendland 1986 verstarb, übernahm sie die Verwaltung seines Nachlasses. Die Einflüsse aus dieser intensiven Beziehung sind noch heute in ihren Werken zu erkennen. Ebenso wie in denen von Marianne Wachberger, ebenfalls Schülerin von Professor Wendland. Die beiden Freundinnen haben einige Jahre gemeinsam in  SEKEM gewirkt und die Initiative mit ihrer Kunst verschönert. Auch die Gründung der Heliopolis Universität für nachhaltige Entwicklung haben sie begleitet und mit den Studenten die ersten künstlerischen Versuche gewagt. Gerlinde Wendland ist noch heute regelmäßig als Dozentin an der Heliopolis Universität tätig. SEKEMs Kunst-Verantwortliche Yvonne Floride unterstützt und leitet sie dabei. Gleichzeitig gibt Gerlinde ihre wertvollen Erfahrungen und ihr Kunst-Wissen an die langjährige SEKEM Mitarbeiterin weiter.

„Ein weißes Blatt Papier kann als Übungsfeld für den Lebensprozess betrachtet werden“, sagt Gerlinde Wendland. „Hier kann die Sensibilität für die Lebendigkeit erfahren und erarbeitet werden.“ Sie unterstützt den SEKEM-Gedanken, Kunst als Möglichkeit der Persönlichkeitsentwicklung zu nutzen. Denn: „Hier kann einem nichts übergestülpt werden. Kunst entwickelt sich aus der Individualität.“ Darüber tauscht sie sich auch intensiv mit Dr. Ibrahim Abouleish aus, der ihre Werke sehr zu schätzen weiß. Für Gerlinde Wendland sind die gemeinsamen Kunst-Betrachtungen mit dem SEKEM Gründer eine wichtige Anregung.

Nur im Freiraum gibt es Entwicklung

Auch in ihrer Heimat Deutschland gibt Gerlinde Wendland ihr Wissen und ihre Leidenschaft für die bildende Kunst weiter. In ihrem Atelier in Nürnberg bietet sie Malkurse an und organisiert Reisen, bei denen sie mit den Teilnehmern die landschaftliche Vielfalt aufgreift und schöpferisch umsetzt. „Das Thema selbst ist hier oft zweitrangig. Im Zentrum steht immer das Leben selbst, das voller Überraschung und Dynamik ist. Voller Unsicherheit, Offenheit und Bezogensein“, sagt sie. Durch die Kunst versucht sie immer wieder zu verdeutlichen, dass „im Lebendigen nichts für sich allein steht. Alles ist mit allem verbunden. Wir wollen aus den gewohnten Konzepten und eingeübten Einseitigkeiten herauskommen und wach werden für den Wandel lebendiger Formen.“

Gerlinde  Wendlands Bilder verschönern also nicht nur ganz SEKEM, sondern sie geben auch Inspiration für Entwicklung und Bewegung. „Zwischen den verschiedenen Polen entsteht ein Freiraum, und nur in einem Freiraum ist Entfaltung und Selbsterfahrung möglich“, erklärt sie. Die Werke der leidenschaftlichen Künstlerin malen somit auch immer wieder ein Bild von SEKEMs Vision, die die unterschiedlichen Aktivitäten und individuellen Charaktere ganzheitlich betrachten, berücksichtigen und zu einer Harmonie werden lassen will.

Christine Arlt

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