Interview: „SEKEM ist mein erster Schritt in die Unabhängigkeit”

Ihr japanischer Name ist Hana Sawadaer. Ihr ägyptischer Name ist Hana Tarek Mohammed. Die 24-jährige Frau ist in einer Familie mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund aufgewachsen und setzt sich leidenschaftlich für Tiere ein. Momentan studiert Hana Tiermedizin und sammelt praktische Erfahrungen in der Arbeit mit Kühen auf der SEKEM-Farm. In diesem Interview spricht sie darüber, wie sie zu SEKEM gekommen ist und wie es ist, seiner Leidenschaft zu folgen, auch wenn diese nicht mit den gesellschaftlichen Erwartungen entspricht.

Interview: Doris van Regteren Altena und Kseniia Popova

Hallo Hana! Du arbeitest gerade auf der SEKEM Farm bei den Kühen. Wie ist es dazu gekommen?

Angela Hofmann, ein langjähriges Mitglied der SEKEM-Gemeinschaft, singt im selben Chor wie meine Mutter in Kairo. Vor einigen Jahren begann sie, uns Musikunterricht zu geben, und eine Zeit lang begleitete ich zwei Mädchen, die Blockflöten spielten, am Klavier. Einmal traten wir in der SEKEM-Schule auf, und ich hatte die Gelegenheit, die Farm zu besichtigen. An diesem Tag verliebte ich mich in SEKEM und in die Art, wie die Tiere behandelt werden. Da wusste ich, dass ich hier arbeiten wollte.

Woher kommst Du ursprünglich?

Mein Vater ist Ägypter und meine Mutter ist Japanerin. Ich bin in Kairo geboren und aufgewachsen, aber ich besuche meine Großeltern in Japan jeden Sommer. Zu Hause sprechen meine Schwester und ich mit meinem Vater Arabisch und mit meiner Mutter Japanisch. Wenn wir alle zusammen sind, sprechen wir Englisch.

In meiner Kindheit verbrachte ich auch viel Zeit mit ausländischen Kinder. Ich habe es sehr genossen, Kinder aus verschiedenen Kulturen zu treffen, und das mag ich auch an SEKEM. Hier habe ich die Möglichkeit immer wieder unterschiedliche Menschen aus der ganzen Welt zu treffen.

Was gefällt Ihnen am besten an der Arbeit bei SEKEM?

Als ich hierher kam, kannte ich bereits einige Leute aus dem Management. Dadurch wurde ich irgendwie zu einem Bindeglied zwischen den Arbeitern und den Entscheidungsträgern. Das gefällt mir gut, denn zum Beispiel gibt es in den Ställen viele Leute, die sich Sorgen über bestimmte Arbeitsabläufe machen, sich aber nicht trauen, diese den Verantwortlichen mitzuteilen. Ich ermutige meine KollegInnen zu sagen, wenn sie etwas brauchen, oder Fragen zu stellen, wenn etwas nicht klar ist. Das gegenseitige Vertrauen macht diese Arbeit für mich sehr angenehm.

Die meisten Mitarbeiter auf dem Hof sind Männer. Wie ist es für Dich als junge Frau, mit ihnen zu arbeiten?

Ich habe keine Probleme damit. Ich glaube, das hat viel mit meiner Persönlichkeit zu tun. Ich bin eher ein burschikoses Mädchen und nehme die Dinge leicht. Wenn ich Fragen habe, stelle ich sie und zerbreche mir nicht den Kopf. Meine Kollegen und ich haben einen sehr unterschiedlichen Hintergrund. Ich bin ein Mädchen aus der Stadt und sie sind erwachsene Männer vom Lande. Um eine faire Basis zu schaffen, müssen wir in der Lage sein, miteinander zu reden und einander zuzuhören. Unabhängig vom Geschlecht finde ich es wichtig, einfach ein guter Mensch zu sein.

Worin unterscheidest Du Dich denn besonders von den meisten ägyptischen jungen Frauen?

Zunächst einmal würde ich sagen, dass ich es nicht so sehr mag, mich herauszuputzen und auszugehen. Ich bin eher introvertiert. Ich bleibe gerne zu Hause oder hänge mit meinen Freunden ab. Überfüllte Orte mit lauter Musik gefallen mir nicht sonderlich. Ich verbringe meine Zeit oft lieber mit meinen Hunden, als mit Fremden und lese. In der Stadt, wo sich immer mehr Mädchen für einen Beruf entscheiden, fühle ich mich nicht auffällig anders. Aber wenn ich aufs Land komme, merke ich, dass ich anders bin, denn hier sind viele Mädchen in meinem Alter bereits verheiratet und haben Kinder.

Kennen Sie andere junge Frauen aus der Stadt, die den gleichen Berufsweg wie Sie eingeschlagen haben und jetzt auf dem Land arbeiten?

Nein, da kenne ich niemand. Selbst an meiner Universität ist der Bereich Tiermedizin kein beliebtes Studienfach. Es gibt vor allem Humanmedizin, Ingenieurwesen und Jura. Für mich ist das Studium einfach, denn ich habe mich freiwillig für die Tiermedizin entschieden. Ich erinnere mich, dass unser Professor in der allerersten Vorlesung sagte, dass es wahrscheinlich nicht unsere eigene Wahl war, hier zu sein, sondern der Glaube oder Gottes Plan. Es war seltsam für mich, das zu hören, denn ich hatte mich ganz bewusst dazu entscheiden. Damit gehöre ich zur Minderheit.

Warum haben Sie sich für diesen Weg entschieden, obwohl er für junge Frauen nicht üblich ist?

Es war schon mein Kindheitstraum. Ich habe Tiere schon immer geliebt. Ich glaube, dass meine Mutter mich sehr beeinflusst hat. Viele ägyptische Mütter versuchen, ihre Kinder von der Außenwelt abzuschirmen. Klettert nicht auf die Bäume, spielt nicht im Schlamm, fasst keine Straßenkatze an! Meine Mutter sagte immer genau das Gegenteil. Ich habe tolle Erinnerungen daran, wie ich mit meiner Schwester in Flüssen spielte, auf Bäume kletterte oder in Japan zeltete. Ich glaube, das ist der Grund, warum ich eine so starke Verbindung zur Natur habe.

Glaubst Du, dass es für alle jungen Frauen in Ägypten möglich so zu leben, wie du es tust?

Wenn sie lieben, was sie tun, ja! Ich liebe, was ich tue. Ich glaube, wenn jemand die gleiche Leidenschaft und Begeisterung für etwas hat, kann er Großes erreichen. Heutzutage üben viele Eltern großen Druck auf ihre Kinder aus, damit sie Arzt, Ingenieur oder Anwalt werden. Ich kenne viele Mitstudierende, die das Fachgebiet studieren, das ihre Eltern für sie ausgesucht haben. DAs führt oft dazu, dass sie nach 10 Jahren immer noch keinen Abschluss haben. Wenn ich mir diese Leute ansehe, wird mir klar, dass es ein Privileg war, wählen zu können, was ich wirklich möchte, anstatt dem Wunsch meiner Mutter zu folgen. Ich denke, es ist wichtig, dass die Eltern die Tatsache akzeptieren, dass es nicht ihr Leben ist, sondern das ihrer Kinder und dass sie ihren Kindern die Freiheit geben, sich zu entscheiden.

Was erfüllt Dich besonders in Deinem Beruf?

Ich tue das, was ich liebe. Gleichzeitig trage ich mit Organic Egypt und EBDA dazu bei, das Leben der Tiere in Ägypten zu verbessern. Indem wir landwirtschaftliche Betriebe in biologische oder biologisch-dynamische umwandeln, sorgen wir für eine bessere Lebensqualität für die Tiere dort. Wir verbessern ihre Bedingungen, wie Platz, Wasser oder Futter. Ich habe das Gefühl, dass ich etwas Gutes tue, und das erfüllt mich mit Freude.

Worauf bist Du am meisten stolz?

Als ich jünger war, habe ich mir einen Plan gemacht, wie ich mein Leben als Erwachsene gestalten möchte. Es war ein sehr skizzenhafter Plan, der damit begann, auszuziehen, frei zu sein und zu tun, was ich will und wann ich will. Durch SEKEM fügen sich nun langsam die Teile zusammen. Jetzt weiß ich, dass ich hierher kommen, hier leben und hier arbeiten will. Jetzt bin ich nicht mehr an meine Eltern gebunden, weder finanziell noch was die Unterkunft angeht. Ich werde bald meinen Abschluss machen und dann hier Vollzeit arbeiten und wirklich unabhängig werden. Das wird ein weiterer Schritt in meinem Plan sein, und ich bin sehr froh und stolz, dass ich das erreichen konnte.