SDG 8: Für menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum

Spätestens seit Beginn der industriellen Revolution scheint Eigeninteresse die treibende Kraft hinter den meisten wirtschaftlichen Aktivitäten weltweit zu sein. Der Wohlstand in bestimmten Regionen wächst rasant, während der Welt die Ressourcen ausgehen. Gleichzeitig sind immer mehr Menschen gezwungen unter unwürdigen Bedingungen zu arbeiten, um ihre Grundbedürfnisse sichern zu können. Etliche Länder stehen vor Herausforderungen wie steigendes Bevölkerungswachstum, hohe Arbeitslosenquote und wachsende Armut. Durch Korruption, Ungerechtigkeit oder Diskriminierung im Arbeitsumfeld entstehen außerdem stetig neue Hindernisse für ein inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum.

Laut eines Berichtes (World Employment and Social Outlook: Trends 2018) der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) wird die globale Arbeitslosenquote 2018 zwar voraussichtlich leicht sinken – von 5,6% auf 5,5% – mit der wachsenden Zahl von Personen, die in den Arbeitsmarkt eintreten, wird die Gesamtzahl der Arbeitslosen, die bei über 192 Millionen liegt, allerdings ungefähr gleich bleiben. Auch in Ägypten wurde 2017 ein leichter Rückgang der Arbeitslosenquote (von 12,25 % auf 11,8%) verzeichnet. Dabei blieben die Unterschiede zwischen Frauen (23,1%) und Männern (8,2%) jedoch verhältnismäßig hoch (siehe: Jahresbericht der Central Agency for Public Mobilisation and Stability (CAPMAS)).

Die mit Abstand größte wirtschaftliche Herausforderung in Ägypten stellt die anhaltende Inflationsrate dar. Mit 23,5% erreichte sie 2017 einen Höchststand seit vielen Jahrzehnten. Als Folge von drei Währungsabwertungen sank das Nettoeinkommen der Ägypter seit 2016 stetig, was sich selbstredend stark auf das wirtschaftliche Wohlergehen und die Lebensqualität auswirkt.

Hoffnungsschimmer

Es gibt aber auch positive Nachrichten. Ein einem weiteren Teil des Berichtes (World Employment and Social Outlook 2018: Greening with Jobs), geht die ILO davon aus, dass bis 2030 weltweit 24 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden – vorausgesetzt es werden entsprechende Maßnahmen zur Förderung einer grüneren Wirtschaft ergriffen. Allein 18 Millionen der geschätzten neuen Arbeitsplätze würden durch die Einführung nachhaltiger Praktiken im Energiesektor entstehen; die anderen 6 Millionen durch die Förderung der Kreislaufwirtschaft bei der Nutzung von Ressourcen.

Mitarbeiter in SEKEMs Firma El Mizan, für Pflanzenveredelung.

Und es scheint, als würden doch immer mehr Unternehmen und Organisationen eine solche nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung unterstützen – darunter SEKEM. Das 8. Ziel für nachhaltige Entwicklung „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“ wurde bereits in der Vision der SEKEM Initiative 1977 formuliert: „Nachhaltige Entwicklung für eine Zukunft in der alle wirtschaftlichen Aktivitäten im Einklang mit ökologischen und ethischen Prinzipien erfolgen.“ Mit mehr als 1500 Angestellte und über 800 Bauern in ganz Ägypten stellt SEKEM heute Produkte her, die einen gerechten Anteil für alle Beteiligten garantieren. Durch das ganzheitliche Konzept „Wirtschaft der Liebe” ermöglicht die ägyptische Initiative allen Mitarbeitern Entwicklungschancen auf kultureller und sozialer Ebene. Ein Indiz dafür ist beispielsweise die „Social Impact“-Studie von SEKEMs Partner Oikocredit, die 2015 veröffentlicht wurde. Darin wurde festgestellt, dass SEKEMs Vertragsbauern von höheren Einkommen, einem sicheren Markt und besseren Arbeitsbedingungen profitieren.

Die Studie stellte allerdings auch anhaltende Defizite im Bereich der Chancengleichheit von Frauen und Männern fest. Um dem entgegenzuwirken verfasste die SEKEM Initiative im selben Jahr eine „Gender Strategy for a Balanced Society“. Das offizielle Dokument hält fest, dass die Gleichheit von Frauen und Männern in allen Bereichen und Aktivitäten SEKEMs gefördert werden soll. In diesem Zusammenhang werden die weiblichen Mitarbeiterinnen besonders unterstützt, vor allem dann, wenn es darum geht ihrer Rolle als Mutter im Berufsalltag nachzukommen. So bietet SEKEM jungen Eltern etwa flexible Arbeitszeiten oder eine Kindertagesstätte mit Kleinkinderbetreuung.

In SEKEMs Firma NatureTex arbeiten viele Frauen in der Produktion von Bio-Textilien.

Nachhaltiges Wirtschaftswachstum zahlt sich aus

Durch SEKEMs Engagement für nachhaltiges Wirtschaftswachstum wurden in den vergangenen 40 Jahren mehr als 2000 direkte Arbeitsplätze geschaffen, die einen Nettogegenwartswert von rund 5 Millionen Euro generiert haben. Außerdem profitieren rund 8000 Menschen von SEKEMs Gesundheits- und Bildungsinfrastruktur wodurch schätzungsweise 14 Millionen Euro Nettogegenwartswert akkumuliert wurden. Faire und menschenwürdige wirtschaftliche Aktivität lohnt sich also auch rein finanziell betrachtet. 

„Hinter all unseren Bemühungen für eine solidarische Wirtschaft steht immer das Ziel, eine nachhaltige Gemeinschaft zu fördern, die auf gemeinsamen Werten beruht: Eine Visionsgemeinschaft.“ Helmy Abouleish

Und so vertritt SEKEM anhaltend die Überzeugung – trotz der großen Herausforderungen, vor denen Ägypten aktuell im wirtschaftlichen Bereich steht – dass das 8. Nachhaltigkeitsziel „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“ auch in Ägypten realisierbar ist; insbesondere dann, wenn immer mehr Gleichgesinnte gemeinsam daran arbeiten. Seit den Anfängen im Jahr 1977 wird SEKEM von solchen Gleichgesinnten mitgetragen; Partnern und Unterstützern, die nicht nur auf ökonomischer Ebene das gleiche Ziel verfolgen, sondern vor allem von derselben Vision überzeugt sind. „Hinter all unseren Bemühungen für eine solidarische Wirtschaft, verantwortungsvollen Umgang mit der Natur und die Entwicklung der Menschen steht immer das Ziel, eine nachhaltige Gemeinschaft zu fördern, die auf gemeinsamen Werten basiert: Eine Visionsgemeinschaft“, wie es SEKEM Geschäftsführer Helmy Abouleish formuliert.

Dafür setzt sich SEKEM auch international ein, etwa bei der Ausarbeitung einer „Charta für eine assoziative Wirtschaft für den Bio-Markt“, die gemeinsam mit der Demeter-Vereinigung und vielen anderen Organisationen und Unternehmen entwickelt wird. Damit soll eine nachhaltige Sozioökonomie realisiert werden, die auf einer transparenten, fruchtbaren Zusammenarbeit aller Mitglieder der Wertschöpfung beruht.

Noha Hussein

Faire und transparente Wertschöpfung
Assoziative Wirtschaft gestalten: Entstehung einer Charta für den Biohandel
Zwei SEKEM-Bauern erzählen von Verantwortung, Chancen und Herausforderungen der Landwirtschaft in Ägypten